Eine Gegenüberstellung

23. Nov 2021

zu Johannes 18,33-37

Ein biblischer Text, den man nur liest, bleibt manchmal stumpf und wenig greifbar für unsere Vorstellung. Wird er aber begehbar im dreidimensionalen Raum, dann kann ich hineinsteigen und meine eigenen Erfahrungen machen. Und plötzlich spricht er in mein Leben hinein.

Eine Gegenüberstellung
Wer kennt die Wahrheit über den Menschen? Foto: geralt on Pixabay.de
Wer kennt die Wahrheit über den Menschen?
Foto: geralt on Pixabay.de

Ein Bibliodrama zu einem Text aus der Johannes-Passion, ist das nicht eine Überschreitung der Grenzen zur Pietätslosigkeit? Nein, im Gegenteil. Bibliodrama ist ja keine laienhafte Inszenierung biblischer Stücke vor Publikum. Das Ziel der biblischen Methode des Bibliodramas ist es, den Teilnehmenden einen lebendigen, kreativen und unvermittelten Zugang zur Dynamik der heiligen Texte zu bekommen. Es geht nicht um ein Rollenspiel, sondern vielmehr um ein Ins-Spiel-Kommen mit der Bewegung der Heilsgeschichte. Alles beginnt damit, dass ich mich von einer der vorgestellten Rollen finden lasse. Das ist ein intuitiver Prozess, bei dem mir selbst oft noch verschleiert bleibt, wie sehr ich mit meiner persönlichen Lebenssituation, -rolle und -frage zum biblischen Pendant geführt werde. So hat eine Teilnehmerin z.B. die Rolle der Hohepriesterin gewählt, weil sie, das sagte sie dann in der abschließenden Reflexionsrunde, ihre Mutter als gestrenge und absolute Regeln vorgebende Person erlebt hatte. Indem sie nun diese Rolle wählte, kam sie neu in Kontakt mit ihrem Kindheitserleben. Nur war sie nicht mehr das Kind, sondern sie spielte die Mutter und konnte so erleben, wie es sich von der anderen Seite anfühlte.

Wie immer begannen wir mit einer Körperübung, um gut im Hier und Jetzt und bei uns selbst anzukommen, den Alltag hinter uns zu lassen. Dann lud ich zu drei Runden mit einem pantomimischen Rollenspiel ein. Die erste Rolle, die ich vorgab, war die einer Person in Leitungsfunktion, die in sich selbst unsicher war, ängstlich, die das im Außen aber durch gespielte Stärke überdeckte. Und wir sahen drei Teilnehmerinnen, die Befehle gaben, aufzustehen und wegzugehen, ohne Begründung oder Einfühlung. Eine Teilnehmerin wurde dazu gebracht, sich auf den Boden zu knien. In der Rückmeldung auf diese Runde wurde gesagt, dass es als anstrengend empfunden wurde, so aufzutreten. Hauptperson für die zweite Runde war eine Leitungsperson, die eine natürliche Autorität hatte, in sich ruhte und echtes Selbstbewusstsein mitbrachte. Die Bewegungen in dieser Runde waren behutsamer, die Gesichter freundlicher. Die Teilnehmenden sagten anschließend, dass sie sich gerne auf Aufforderungen eingelassen haben, weil sie sich gesehen und mitgenommen erfuhren. Die dritte Runde schließlich ließ uns Jesus als Leitungspersönlichkeit erfahren. Die Rückmeldung war, dass es eine Wohltat war, wie er sich auf Augenhöhe begab und behutsam berührte. Die Teilnehmerinnen fühlten sich angenommen, wertgeschätzt und die Handlungen Jesu wurden als entgegenkommend wahrgenommen.

Die dritte Übung war, dass ich 16 verschiedene Worte aus dem Text genommen und auf Plakate geschrieben als Weg auf den Boden auslegte. So konnten die Teilnehmerinnen in den Text hineingehen, ohne dass sie ihn schon im Kopf hatten. Das erlaubte ihnen, mit ihren eigenen Erfahrungen anzuknüpfen bei Themen wie: „von sich aus etwas sagen“, „nach dem Hören-Sagen gehen“, „damit ich nicht ausgeliefert werde“, „König sein“, „in die Welt kommen“, „auf meine Stimme hören“ usw.
Schließlich lasen wir den Text mehrere Male, sammelten die Rollen, die darin vorkamen und tauschten uns über unsere Fragen und Wahrnehmungen aus. Nachdem wir vertraut genug waren, öffnete ich den Raum für das Bibliodramaspiel. Ich gab dem Prätorium einen Ort und dessen Vorplatz. Im Prätorium stand ein Feld für Pilatus und ihm gegenüber für Jesus. Zwischen den beiden eröffneten sich Felder für die Wahrheit und das Königtum. Hinter Pilatus war der Kaiser verortet und hinter Jesus der himmlische Vater.

Dann lud ich die Teilnehmenden ein, in den Raum hineinzugehen und ihn zu erkunden. Jede durfte für sich spüren, welcher Platz mit welcher Rolle für sie heute wichtig war. In der Interviewrunde zeigte sich: wir hatten einen himmlischen Vater, eine Wahrheit, eine Sucherin nach der Wahrheit und einen „Menschen, der aus der Wahrheit war“. Dann zwei Mal Pilatus, jeweils in Betonung unterschiedlicher Aspekte. Wir hatten zwei Hohepriesterinnen und eine Frau, die im Grunde von Jesus begeistert war, aber da er nach Aussage der Oberen gegen die Gesetze gehandelt hatte, darauf wartete, dass er verurteilt und hingerichtet würde.

Jesus vor Pilatus. Foto: falco on Pixabay.de
Jesus vor Pilatus.
Foto: falco on Pixabay.de

Das Spiel wurde eröffnet und die Wahrheit gesellte sich zu Jesus hin, stellte sich in seinen Rücken, um ihn zu stärken. Der himmlische Vater dahinter streckte seine Hände aus, um aus der Ferne seinen Sohn zu stützen. Pilatus hatte gar kein Interesse daran, Jesus zu verurteilen, aber er spürte den Druck von den Hohepriestern, denn sie forderten lautstark eine baldige Entscheidung. Daneben wusste Pilatus, dass er Acht geben musste, es sich nicht mit seinem römischen Oberhaupt zu verscherzen. Sollte Jesus wirklich ein König sein und damit also Machtansprüche anmelden, so müsste Pilatus unverzüglich handeln. Aber er konnte keine Schuld an ihm finden und fand die Unterhaltung über Königtum und Wahrheit eher interessant.

Das Ziel von Bibliodrama ist es nicht, den Text von Anfang bis Ende durchzuspielen - es ist eben kein Szenenspiel. Das Ziel ist, dass die Teilnehmenden durch die Rolle, die sie gewählt haben, in Berührung kommen mit ihrer eigenen Wahrheit und dadurch etwas entdecken, erleben, sich frei spielen, in Kontakt kommen mit ihrer Sehnsucht.

Nach dem Spiel gibt es dann die Auswertungsrunde, in der wir das im Spiel Erlebte anhand von Fragen reflektieren, z.B: Was hast du im Spiel erlebt? Was hast du für dich entdeckt?

Was dabei sehr deutlich wurde, ist das Gegenüber der beiden Protagonisten in der Szene: Pilatus auf der einen und Jesus auf der anderen Seite. Pilatus hat in seiner Reflexion deutlich gemacht, wie zerrissen er sich fühlte: einerseits wollte er Jesus nicht verurteilen, aber die Hohepriester erwarteten das. Außerdem war es gefährlich, jemanden, der sich als König deklarierte, wieder laufen zu lassen, weil er dann Schwierigkeiten mit dem Kaiser bekommen hätte. Er war zu schwach, das, was er eigentlich wollte, durchzusetzen. Stattdessen ließ er sich treiben von den Erwartungen der anderen und von den Zwängen des Systems.

Demgegenüber Jesus, der in großer Freiheit dastand, der ahnte, was auf ihn zukam, der aber dennoch nicht in Unwahrheiten floh und sich nicht hat verbiegen lassen. Er konnte selbstbewusst dastehen, weil er sich vom Vater im Rücken gestärkt und gestützt wusste, er spürte die Wahrheit, die die Hände auf seine Schulter gelegt hatte.

Ein Satz bleibt von diesem Bibliodrama besonders im Gedächtnis, den eine Teilnehmerin schon bei der Einstiegsübung mit der Leitungsperson, die die innere Autorität hatte und in sich ruhte, äußerte: „Sie kann es sich leisten, freundlich zu sein.“ Ja, sie kann es sich leisten, weil sie sich gestützt und bestätigt fühlt. Der Ängstliche, der meint, mit Macht und Gewalt um seine Anerkennung ringen zu müssen, der kann es sich dagegen nicht leisten, weil er glaubt, dass Freundlichkeit Schwäche wäre, die ausgenutzt werden könnte. Deshalb gibt er sich autoritär, unnachgiebig, bisweilen grausam. Lebendige Anschauungsbeispiele haben wir dazu in unserer Welt genug.

Auf uns Christen angewendet: Wenn wir uns in Christus festmachen und uns bewusst werden, dass wir vom himmlischen Vater bejahte und geliebte Kinder sind, dann können wir es uns leisten, freundlich zu sein und liebevoll. Jesus zeigt uns die Wahrheit eines wirklich freien Menschen. Dieser bleibt in Freiheit, auch wenn Schwierigkeiten auf ihn zukommen, auch wenn das Gegenüber oder die Situation ihn in die Mangel nehmen, auch wenn ihm die Ehre, vielleicht sogar das Leben, genommen werden sollen.

Pater Thomas Heck SVD

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