„Was willst du hier?“

01. Jun 2022

Gott fragt den Menschen (6): 1 Kön 19,9

In einer Zeit der Krisen suchen wir nach Orientierung. Wie wäre das, wenn wir Gott ganz persönlich fragen könnten, wie es weitergehen kann? Was für eine Antwort könnten wir erwarten?

„Was willst du hier?“

Wir leben jetzt unser Leben. Wir müssen es jetzt leben, obwohl es uns oft an Orientierung mangelt. Wie finden wir den richtigen Weg, hin zu einer lebenswerten Zukunft? Meistens erkennen wir erst in der Rückschau auf die Vergangenheit die größeren Zusammenhänge. Wir beginnen, den zurückgelegten Weg zu deuten, erzählen anderen davon – so wird das Leben zur Geschichte. Welche Geschichte man über die Vergangenheit erzählt, ist eine Frage der Perspektive.

Ein Beispiel: Fragt man Historiker und Archäologinnen, wie es im neunten Jahrhundert vor Christus in Israel aussah, dann bekommt man möglicherweise als Antwort: Da gab es eine Blütezeit. Nach Jahren politischer Wirren hatte sich eine Herrscherfamilie durchgesetzt und sorgte für mehrere Jahrzehnte für politische Stabilität. Ausgrabungen zeigen, dass dadurch neue internationale Handelsbeziehungen möglich waren und sich die Lebensbedingungen im Land verbesserten. Die Reste des Herrscherpalastes zeugen von Wohlstand und Kunstgeschmack. Schaut man in die Bibel, dann kann man einen ganz anderen Blick auf diese Epoche erkennen. Propheten wetterten gegen die soziale Ungleichheit und gegen eine Religiosität, die nur noch zur Legitimierung der Herrschenden diente. Der Glaube an den Befreiergott JHWH verlor immer mehr an Attraktivität, stattdessen wurden die Götterkulte der Nachbarvölker immer beliebter. Einer, der das nicht hinnehmen wollte, war der Prophet Elija (vgl. in der Bibel im ersten Buch der Könige, Kap. 17-19). Sein Name war sein Lebensprogramm, er bedeutet übersetzt: „Mein Gott ist Ja(hwe)“!

Die Bibel erzählt von diesem berühmten Propheten im Zusammenhang mit einer mehrjährigen Dürrezeit, die zu einer Hungersnot führt. Er selbst wird auf wunderbare Weise genährt, durch Vögel, die ihm Nahrung bringen und durch eine ausländische Frau, die das Letzte, was sie hat, mit ihm teilt. Auf dem Höhepunkt der Krisenzeit kommt es zur Machtprobe mit dem Herrscher. Elija, der JHWH-Prophet, tritt allein gegen 450 Priester des Gottes Baal an, den die Herrscherfamilie bevorzugt. Als er durch ein göttliches Zeichen als Sieger erkennbar wird, lässt er alle gegnerischen Priester töten. Doch nach diesem Gewaltexzess gerät Elija in eine Krise, obwohl es endlich regnet und die Leidenszeit ein Ende hat. Er verliert allen Halt und wünscht sich selbst den Tod. Doch ein Engel Gottes rührt ihn an, gibt ihm Speise und schickt ihn auf einen langen Weg. Wohin, das wird nicht gesagt, doch Elija geht zum Gottesberg Horeb, auf dem der Überlieferung nach Gott sich dem Mose offenbarte.

Als Elija am Gottesberg ankommt, konfrontiert ihn Gott mit einer Frage: „Was willst du hier, Elija?“ Der Prophet erklärt sich: „Mit leidenschaftlichem Eifer bin ich für den HERRN, den Gott der Heerscharen, eingetreten, weil die Israeliten deinen Bund verlassen, deine Altäre zerstört und deine Propheten mit dem Schwert getötet haben. Ich allein bin übrig geblieben und nun trachten sie auch mir nach dem Leben.“ (1 Kön 19,9f) Hier klagt ein Einzelkämpfer, der glaubte, mit aller Gewalt die Sache eines machtvollen Gottes vor dem Untergang retten zu müssen, der jetzt aber jede Kraft verloren hat. Was ist Gottes Antwort? Sie erfolgt ihn zwei Schritten.

Der erste Schritt: Gott zeigt sich dem Propheten. Doch nicht stark und mächtig, so wie es dem Gottesbild des Elija („Gott der Heerscharen“) entsprechen würde, nicht in Sturm, Erdbeben oder Feuer. Sondern ganz schwach und zart, dass man ganz still sein muss, um ihn zu bemerken, in einem „sanften, leisen Säuseln“ des Windes. Vierzig Tage war Elija alleine unterwegs gewesen, hatte dabei Schweigen und Hören gelernt. Aber noch scheint er nicht alles zu verstehen. Denn Gott fragt ihn ein zweites Mal: „Was willst du hier?“ Und wieder antwortet Elija wie beim ersten Mal, immer noch dieselbe Klage des Einzelkämpfers. Der zweite Schritt der göttlichen Belehrung erfolgt im Tun. Gott sendet ihn zurück zu den Menschen mit dem Auftrag, andere Männer zu Königen zu salben. Und auch noch einen Nachfolger für sich als Prophet. Elija kann dabei etwas Wichtiges lernen: Er ist ersetzbar und ganz offensichtlich nicht der Einzige, den Gott für seine Mission gebrauchen kann! Das wird dann in der abschließenden Zusage Gottes überdeutlich: „Ich werde in Israel siebentausend übrig lassen, alle, deren Knie sich vor dem Baal nicht gebeugt und deren Mund ihn nicht geküsst hat.“ (1 Kön 19,18). Siebentausend – das ist eine symbolische Zahl, die Größe und Fülle ausdrückt. Also nichts mit „Ich als Einziger bin dir noch treu!“ Unendlich viele JHWH-Getreue gibt es – offensichtlich hatte Elija in seinem Eifer keine Augen für sie, ebenso wenig wie für Gott, der sich nicht in Gewalt und Macht offenbart, sondern in Schwachheit und Zärtlichkeit.

„Was willst du hier?“ Ich vermute, Gott wird auch uns diese Frage stellen, wenn wir es wagen mit unserer Kirchen-Depression zu ihm zu kommen. Wer sich ihm stellen will, sollte wie Elija eine Wüstenwanderung machen, um neu das Hören zu lernen. „Ich alleine bin übriggeblieben“, denken heute auch viele, wenn sie von den hunderttausenden hören, die der Kirche den Rücken kehren. Was ist die Lösung für die Kirchen- und Glaubenskrise unserer Zeit? Wenn ich auf die Erfahrung des Propheten schaue, dann zeigt sich vor allem die Notwendigkeit, eine neue Wahrnehmung zu erlernen. Wir brauchen neue Augen und Ohren für Gott, der möglicherweise ganz anders ist, als wir uns ihn bisher vorgestellt haben. Und wir brauchen neue Augen für unsere Mitmenschen. Wahrscheinlich gibt es unter ihnen auch unendlich viele, die im Herzen Gott treu geblieben sind. Mit ihnen will Gott einen neuen Anfang machen. So wie er es in früheren Zeiten immer wieder machte. „Siehe, nun mache ich etwas Neues. Schon sprießt es, merkt ihr es nicht?“ (Jes 43,19) ließ er Jahrhunderte nach Elija durch den Propheten Jesaja verkünden. „Seht, ich mache alles neu“ (Offb 21,5) heißt es auch im letzten Buch der Bibel. Wir dürfen also gespannt sein. Selbst wenn die alte Gestalt unserer Religion zusammenbricht – Gottes Weg mit den Menschen geht weiter.

Pater Ralf Huning SVD

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