„Was ist am Sabbat erlaubt: Gutes zu tun oder Böses?“

01. Mär 2023

Jesus fragt (3): Mk 3,4

Es gibt Fragen, da schüttelt man nur mit dem Kopf. Wie kann man nur so fragen? Ist das nicht allen klar? Offensichtlich nicht.

„Was ist am Sabbat erlaubt: Gutes zu tun oder Böses?“

Jesus sah sich bei seinem öffentlichen Wirken von Anfang an mit dem Vorwurf konfrontiert, er würde die Überlieferung nicht achten. Den Schriftgelehrten und Pharisäern war die Überlieferung heilig, denn nur durch sie könnten wir erkennen, was Gottes Wille sei und wie man ihm treu sein könne. Jesus tat viel Gutes, das war offensichtlich. Aber dass er sogar am Sabbat Kranke heilte, war für sie nicht akzeptabel. Wusste er denn nicht, dass nach göttlichem Gebot am Sabbat alle Arbeiten zu unterlassen sind?

An diesem schweren Konflikt kann man gut erkennen, dass es zwei verschiedene Zugänge zur Überlieferung gibt, den Weg der Tradition und den Weg der Konvention. Zwischen beiden müsse man sorgfältig unterscheiden, so schrieb schon in den Fünfziger Jahren der Mönch Thomas Merton in seinem Buch „Keiner ist eine Insel“. Was er in seinem Kloster beobachtete, gilt auch für andere Formen religiösen Lebens: „Äußerlich gesehen mögen Konvention und Tradition ziemlich gleich scheinen. Aber die oberflächliche Ähnlichkeit macht die Konvention nur noch gefährlicher. In Wirklichkeit ist Konvention der Tod echter Tradition wie überhaupt jeden wirklichen Lebens.“ (S. 145f). Konvention klammere sich an überlieferte Formen, benutze sie wie eine Schablone. Sie sei eine passive Haltung und begnüge sich mit der bloßen Wiederholung des Hergebrachten. „So macht man das“ ist die Hauptregel. „Frag nicht warum, tu es einfach!“ Merton erkannte in echter Tradition dagegen eine aktive Haltung. „Tradition formt uns nicht von selbst – wir müssen uns anstrengen, um sie zu verstehen“ (S. 146). Tradition sei deshalb schöpferisch: „Stets lebendig, öffnet sie immer neue Horizonte für eine alte Reise. Konvention dagegen ist vollkommen tot. … Sie verschließt sich in sich selbst und führt zu völliger Unfruchtbarkeit.“ (S. 146) Während die Konvention zu einer Haltung der Angst führe, lebe Tradition aus einer Haltung der Liebe.

Jesus war ein Mann der Tradition, nicht der Konvention. Wer ihm folgen will, muss nach der Gerechtigkeit streben, die größer ist als die Gerechtigkeit der Schriftgelehrten und Pharisäer (vgl. Mt 5,20). Nicht den überlieferten Formen müssen wir treu sein, sondern dem Geist, den sie vermitteln sollen. Seine Gegner fragten: Was ist erlaubt und was ist verboten? Jesus dagegen fragte: Was schenkt Leben und was führt in den Tod? Als er an einem Sabbat einem Mann gegenüberstand, dessen Hand verdorrt war, wartete er mit der Heilung nicht bis zum nächsten Werktag. In jedem Augenblick seines Lebens wollte Jesus den leidenden Menschen gerecht werden, auch wenn ihn das in Konflikt brachte mit den religiösen Konventionen. Am Sabbat, dem gottgeweihten Tag, standen für Jesus darum Erlösung, Heil und Leben im Mittelpunkt, nicht die routinierte Beachtung starrer Formen. „Was ist am Sabbat erlaubt – Gutes zu tun oder Böses, ein Leben zu retten oder es zu vernichten?“ (Mk 3,4) so fragte er in die Runde. Doch die Verteidiger der Konvention schwiegen. Es war ein tödliches Schweigen, das Jesus zur Weißglut brachte: „Er sah sie der Reihe nach an, voll Zorn und Trauer über ihr verstocktes Herz“ (Mk 3,5), so berichtet der Evangelist. Was dann folgte, zeigt deutlich, welche Früchte Tradition und Konvention hervorbringen: Jesus schenkte dem Kranken ein heiles Leben, seine Gegner aber rotteten sich zusammen und fassten den Entschluss, Jesus umzubringen.

Haben wir in unser Kirche die Frage Jesu wirklich verstanden? Es scheint, die Konventionen sind uns immer noch heiliger als die Tradition. Fördert unsere religiöse Praxis das Leben oder vernichtet sie, was nach Leben hungert? Diese Frage kann uns helfen, die Kirche aus der Erstarrung zu befreien, ohne die Tradition zu verraten.

Ralf Huning SVD

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