„Warum habt ihr solche Angst?

01. Mai 2023

Jesus fragt (5): Mk 4,40

Das menschliche Leben ist nicht immer eine entspannte Bootspartie unter strahlend blauem Himmel. Auch wer Jesus mit ins Boot nimmt, sollte mit Stürmen rechnen.

„Warum habt ihr solche Angst?

Das vierte Kapitel des Markusevangeliums erzählt von Ereignissen, die sich in einem Boot abspielen. Die abschließende Szene beginnt mit der Aufforderung, ans andere Ufer hinüberzufahren. Ein passendes Bild für das menschliche Leben: Wir sind unterwegs zur anderen Seite der Wirklichkeit. Die Überfahrt machen wir in einem kleinen Boot inmitten einer unberechenbaren Umgebung. Wer ins Boot steigt, sollte mit Stürmen rechnen.

Der Evangelist erzählt uns nicht, wie das Wetter war, als Jesus das Boot bestieg, doch ich stelle mir blauen Himmel und ein sanftes Lüftchen vor. Am Ufer standen viele Menschen, die Jesus hören wollten. Er sprach vom Boot aus zu ihnen, man sagt, das wäre aus akustischer Sicht ein kluge Entscheidung gewesen. Was er erzählte, waren anrührende Geschichten von einem Sämann, der großzügig das Saatgut ausstreut, ohne Blick auf die Bodenqualität. Er erzählte von der Saat, auf deren Wachstum ein Bauer keinen Einfluss hat, die von selbst ihre Frucht bringt. Und er erzählte von kleinen Samenkörnern, aus denen überraschend große Pflanzen wachsen. Durch diese Geschichten wollte er seinen Zuhörern verdeutlichen, wie Gottes Wort in ihnen wachsen will. Sie müssten es nur aufnehmen und ihm in sich Raum geben. Die reiche Ernte, das, was Jesus „Reich Gottes“ nannte, käme dann wie von selbst. Jesus war sich bewusst, dass nicht alle Zuhörer den Sinn der Gleichnisse richtig verstehen würden. Es käme darauf an, auf welcher Frequenz man sein Empfangsorgan eingestellt habe. Seine Jünger hätten die besten Voraussetzungen, ihn richtig zu verstehen, denn sie waren ihm nahe, teilten sein Leben und sollten dadurch auch auf der richtigen Wellenlänge hören lernen (vgl. Mk 4,10-12).

Doch dann geschah etwas, was deutlich macht, dass bei den Jüngern die frohe Botschaft noch nicht in der Tiefe des Herzens angekommen war. Jesus forderte sie auf, ans andere Ufer zu fahren und – wer kann es ihm nach den langen Reden verdenken – er legte sich auf ein bequemes Kissen und war bald eingeschlafen. Er war mit gutem Schlaf gesegnet, denn selbst als ein heftiger Wirbelsturm aufkam, die Wellen ins Boot schlugen und die Jünger von Panik ergriffen wurden, schlief er seelenruhig weiter. Diese Ruhe machte die Jünger erst recht panisch. Sie weckten ihn auf und riefen: „Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?“ (Mk 4,38). Der Satz ist entlarvend. Sie sagten nicht: „Bitte wach auf und hilf uns!“. Stattdessen machten sie ihm Vorwürfe wegen seiner Seelenruhe. „Kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?“ Sie interpretierten seinen guten Schlaf als böswillige Verweigerung von Zuwendung. Vertrauen in jemanden, den sie „Meister“ nannten, sieht anders aus. Jesus ging nicht auf den Vorwurf ein, sondern kümmerte sich sofort. Ein einziges Wort von ihm reichte aus und der Sturm hörte so plötzlich auf, wie er gekommen war. „Es trat völlige Stille ein“ (Mk 4,39) weiß der Evangelist zu berichten. Die innere Ruhe, die Jesus so gut schlafen ließ, übertrug sich auf die Außenwelt, „völlige Stille“ durchdrang alles. Und dann wandte sich Jesus an die immer noch vor Angst schlotternden Jünger: „Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?“ (Mk 4,40). Diese Fragen blieben unbeantwortet, „große Furcht“ ergriff die Jünger und statt mit ihm redeten sie nur über ihn: „Wer ist denn dieser, dass ihm sogar der Wind und das Meer gehorchen?“ (Mk 4,41)

Als Leserinnen und Leser des Evangeliums können wir die Jünger sicher gut verstehen. Ihre Angst ist nur zu menschlich. Was ist das für ein eigenartiger Glauben, den Jesus von uns erwartet? Hat er etwas mit dem zu tun, wovon Jesus zuvor in den Gleichnissen gesprochen hat? Ich vermute schon. Wer im Evangelium weiterliest, findet im folgenden Kapitel ein anschauliches Beispiel für die Kraft echten Glaubens. Es wird uns von einer Frau erzählt, die seit zwölf Jahren an Blutfluss litt. Ihr ganzes Vermögen hatte sie für Ärzte ausgegeben, ohne Besserung. Neben dem körperlichen Leiden führte ihre Krankheit auch zu sozialer Isolation, sie war mehr tot als lebendig. Doch als sie von Jesus hörte, wurde sie von einer Intuition erfüllt, der sie gegen alle Vernunft folgte: „Wenn ich auch nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt.“ (Mk 5,28). Sie drängte sich durch die Menge heran und griff einfach zu, als sie Jesu Gewand zu fassen bekam. Und es geschah, wie sie glaubte. Durch ihr Handeln floss die heilende Kraft aus Jesus heraus, ohne dass er das bewusst steuerte. „Dein Glaube hat dich gerettet“ (Mk 5,34), sagte Jesus anerkennend zu ihr. Man muss also Jesus nicht extra aufwecken. Und schon gar nicht mit Vorwürfen überschütten. Es reicht der Glaube, dass die leichteste Verbindung zu ihm schon genügt, um mit Gottes Schöpferkraft verbunden zu sein. Wer so glauben kann, versetzt Berge (vgl. Mk 11,23).

Ralf Huning SVD

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