Der richtend-rettende Gott

04. Dez 2024

Magnificat, Marias Lobgesang (Lk 1)

Ich möchte die Serie der „Kampfpsalmen“, die wir heuer betrachtet haben, mit dem Magnificat beschließen, denn es zeigt, dass auch das Neue Testament so „kämpferisch“ betet wie das Alte, dass selbst eine Frau so betet und gar eine kontemplative.

Der richtend-rettende Gott

Das Magnificat, Marias Lobgesang (Lk 1)

46    Hoch rühmt meine Seele den Herrn
47    und es jubelt mein Geist über Gott, meinen Retter.
48    Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut.
        Siehe, von nun an preisen mich selig alle Generationen.
49    Denn Großes hat an mir getan der Mächtige
         und heilig ist sein Name.
50    Sein Erbarmen waltet von Generation zu Generation
         über alle, die ihn fürchten.

51    Machtvolle Taten hat er vollbracht mit seinem Arm,
         zerstreut hat er, die im Herzen voll Hochmut sind;
52    Mächtige hat er von ihren Thronen gestürzt
         und Niedrige erhöht;
53    Hungernde hat er mit seinen Gaben beschenkt
         und Reiche leer ausgehen lassen.
54    Er hat sich seines Knechtes Israel angenommen
         und an sein Erbarmen gedacht,
55    das er unsern Vätern verheißen hat,
        Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.

Schauen wir zurück auf die Bibelbetrachtungen dieses Jahres. Als Einstieg diente uns die Amalekiter-Geschichte. Völlig unvorbereitet und unvermittelt findet sich das Volk Gottes in einen Kampf verwickelt, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Er spielt sich auf zwei Ebenen ab: unten im Tal als Schlachtgetümmel und oben auf dem Berg als Gebet. Der Plan Gottes mit seinem Volk hat ganz reale Feinde, die sich seiner Verwirklichung entgegenstellen und denen sich das Volk in Aktion und Kontemplation stellen muss.

Das Buch der Psalmen ist ein „Kampfliederbuch“ für das Volk Gottes.
In Ps 2 und in Ps 149, die den Psalter eröffnen und abschließen (zusammen mit Ps 1 und 150 an noch prominenterer Stelle), tauchen „die Völker“ als Feinde Gottes und „des Volkes“ auf. Es sind aber nicht pauschal alle Völker gemeint, sondern eben die, die gegen die weltweite Gottesherrschaft rebellieren, die nicht den universalen Frieden wollen, sondern die eigene Sicherheit und Macht. In Ps 2 wird die Rolle des Messias hervorgehoben, in Ps 149 die Rolle des ganzen Volkes. Beide Größen fungieren als Gerichtswerkzeuge Gottes, und die beiden Lieder befleißigen sich ungeniert sehr martialischer Bilder, um die Niederschlagung der Feinde und den endgültigen Sieg Gottes auszumalen.
Ps 3 hat uns mit König David am Morgen einer „Völkerschlacht“ beten lassen und ihn uns als den vor Augen gestellt, der ganz aus unbeirrbarem Vertrauen lebt und den Sieg von Gott erwartet, letztlich als Geschenk.
Ps 20 war ein Gebet des Volkes für den Gesalbten, bevor sie, von ihm angeführt, in die Schlacht ziehen – wohl wissend, dass der Sieg nicht auf militärischer Stärke beruht, sondern auf dem Vertrauen in Gottes Macht.
Ps 10 und Ps 36 lebten von der Gegenüberstellung „der Frevler“, einmal mit „den Armen“, ihren Opfern, andermal mit Gott.
Ps 37 beschwor einen „Hitzkopf“, der unmittelbar davorstand, im Kampf zum Mittel der Gewalt zu greifen, Gottes Seligpreisung der Friedfertigen und Gewaltlosen eingedenk zu bleiben, „denn ihnen wird das Land gehören“.
Ps 76 und 82 schilderten den ersehnten Anbruch der Gottesherrschaft auf ihre je eigene, ganz originelle Weise: als Gottes Sieg über den Krieg und über die Ungerechtigkeit an den Armen einerseits, als Sturz der falschen Götter andererseits, die die Völker zu ihrem eigenen Unheil anbeten und verehren.
Bleibt schon nur mehr, Ps 113 nochmals zu erwähnen. Er ist ein Hymnus auf den über alles erhabenen Gott, der den Niedrigen aus dem Staub emporhebt – was eben genau seine Größe ausmacht.

Von Ps 113 her kommend, liest sich der Lobgesang Marias, mit dem ich nun unsere Serie von „Kampfpsalmen“ beschließen möchte, wie eine Ergänzung. Maria sieht sich selbst als eine, die aus der Niedrigkeit von Gott erhöht wurde. Und auch sie sieht darin das Wesensmerkmal Gottes. So wie jetzt an ihr hat Gott schon immer in der Vergangenheit an Israel gehandelt und wird er künftig in Jesus an der ganzen Welt handeln: die Daniederliegenden, weil sie in den Staub getreten werden, und die Selbstbescheidenen, die um ihre Kleinheit vor Gott wissen, erhöhen und – als Kehrseite derselben Medaille – die „Stolzen/Selbstüberheblichen/Mächtigen“, die über sich nichts Größeres kennen und in Wahrheit nur sich selbst anbeten, entthronen und blamieren. Diese „richtende“ Kehrseite der „rettenden“ Wesensseite Gottes hat Ps 113 ausgespart und ergänzt das Magnificat, ganz auf der Linie anderer atl. Psalmen. Was den einen Gericht, ist den andern Rettung.

Ich wollte mit den Bibelbetrachtungen dieses Jahres etwas erreichen: Ihren Glauben, liebe Leserinnen und Leser, um eine Dimension bereichern (bzw. Sie darin bestärken), die in der Bibel reichlich sprudelt, die aber in der Tradition der Kirche sehr weitgehend vernachlässigt (oder gar unterdrückt?) worden bis verloren gegangen ist: um die Dimension der Diesseitigkeit, der hoffnungsfrohen Zukunftserwartung für diese unsere im Argen liegende Welt; um die Dimension der strikten Parteilichkeit für die Armen und Entrechteten; um die kämpferische Dimension des Widerstands gegen alle „Feinde“ des Reiches Gottes, die unleugbar in dieser Welt mächtig am Werk sind. Ich wollte einer Verharmlosung unseres Gottesbildes entgegentreten, die m.E. in der Verkürzung der biblischen Botschaft auf rein jenseitige und individualistische Bedeutsamkeit („Rette deine Seele!“) und auf ein Wohlfühl-Christentum („Jesus liebt dich! Ich bin OK, du bist OK!“) besteht. Ich wollte Sie einladen, einzustimmen in den Chor der Betenden: „Dein Reich komme!“

P. Michael Kreuzer SVD

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