29. Sonntag im Jahreskreis (C)

Predigtimpuls

Die Liturgie feiernde Gemeinde als Einfallstor zur Welt der Menschenkinder

1. Lesung: Ex 17,8-13
2. Lesung: 2Tim 3,14-4,2
Evangelium: Lk 18,1-8

Steine, die erinnern
Die Wirklichkeit, die wir Gott nennen, gibt sich zu erkennen im Schicksal jedes einzelnen Menschen und in der Geschichte der Völker. Wir bewahren unsere persönliche Geschichte im Feiern von Gedenktagen wichtiger Ereignisse: Geburtstag, Hochzeitstag, Sterbetag eines lieben Menschen … Die Geschichte eines Volkes wird festgehalten in Annalen, Jahrbüchern, die markante Ereignisse der Nachwelt überliefern, sodass jedes Volk sich vergewissern kann, woher es kommt und wer es ist. Dazu dienen auch Denkmäler, Sagen, Märchen, Volkslieder und (National-)Feiertage. Wer Geschichtswissenschaft studieren will, muss fremde Sprachen entziffern können, nicht nur Schriften, sondern auch Skulpturen, Ruinen von Bauwerken, Reste von Kultstätten und auffallende Landschaftsformationen.
Zum Beispiel hat es da bei der Ortschaft Refidim in Palästina eine Schlacht gegeben, in der es ums Überleben des Volkes Israel ging, ähnlich wie gerade jetzt das ukrainische Volk um sein Überleben kämpfen muss. Daran erinnert eine eigenartige Gesteinsformation auf einer Höhe in der Nähe: wie ein Sessel mit Armlehnen. Hieran knüpft das erinnernde Erzählen von jener Entscheidungsschlacht an. Die entscheidenden Führungsgestalten, Moses, der religiöse Führer und Gesetzgeber, und Josua, der Verteidiger und Eroberer, sind darin verwoben.

Hilfesuchende und dankbare Offenheit
Im Sieg über das ansässige Volk der Amalekiter, das sich gegen die israelitischen Eindringlinge wehrte, erkennt Israel die mächtige Schutzhand seines Gottes. Es hatte in seiner Existenzangst zu ihm geschrien, was seinen Ausdruck findet in den ständig erhobenen Händen Moses’, unterstützt von zwei Persönlichkeiten, Aaron und Hur, die für die Identität Israels von großer Bedeutung sind. In dieser Szene drückt sich die Grundorientierung des biblischen Volkes aus: sowohl Hilfe suchende als auch dankbare Offenheit und nie nachlassendes Vertrauen auf Gott im Lebenskampf.
Das Buch der Psalmen lehrt uns beten aus überschwänglicher Lebensfreude, die direkt an Gott gerichtet ist wie an einen von uns. Es zeigt uns, wie wir unsere tiefe Trauer und Verzweiflung vor ihm ausbreiten können. Gebet wird zuweilen zur lauschenden Aufmerksamkeit auf die ausströmende Lehre der personifizierten Weisheit und zum erinnernden Erzählen von den Großtaten Gottes, die unserem Lebensweg und der Entwicklung der Völker Richtung gegeben haben. Schließlich vernehmen die Beter der Psalmen Gottes Stimme in beeindruckenden Naturereignissen: in Gewitter und Sturmflut, in Vulkanausbruch und Erdbeben.
Wir wissen heute mehr als unsere Vorfahren von den Ursachen der Naturphänomene. Wir wissen, dass die Sonne nicht auf- und untergeht, sondern dass unser Standpunkt auf der Erde sich zur Sonne hin- und wegdreht. Aber wer sich am frühen Morgen unverkrampft hinstellt, erlebt den Tagesanbruch als Sonnenaufgang und sucht nach Worten der Dankbarkeit für sein Leben, für das pure Dasein und für die Nähe des Schöpfers. Und wenn am Abend der Tag verglüht, kann die untergehende Sonne unerfüllte Sehnsüchte mitnehmen und Momente tiefen Friedens bescheren. Vielleicht tut der Mond das Seinige dazu, wie er es bei Goethe getan hat:
Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz.

Einfallstor Gottes
Beten ist nicht mehr „in“. Für die meisten Menschen unserer Gesellschaft spielt Gott keine Rolle mehr in ihrem Leben. Sie sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Diese Beobachtung führte in den sechziger Jahren zu einer „Gott ist tot“-Theologie. Wie kann man von Gott sprechen, wenn er in der alltäglichen Erfahrung nicht mehr vorkommt und die Kunde von ihm nicht mehr verstanden wird? Was soll man da „machen“?
Er ist nicht tot, auch wenn die breite Masse nicht mehr zu ihm beten kann. Für ihn bleibt die Liturgie feiernde Gemeinde ein Einfallstor zur Welt seiner Menschenkinder. Moses erhob seine Hände von der bleibenden naturgegebenen Steinformation. Wir, um den meist steinernen Altarblock versammelt, erheben unsere Hände mit den Gaben von Brot und Wein, in denen sich Jesus in Verbindung mit uns dem Vater hingibt.

P. Dr. Gerd Birk SVD

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