Die Gemeinschaft mit Christus setzt Leben frei

Theologische Anregung

Neues Testament: Vielfältige Modelle für ein Leben nach dem Tod

Die ersten Christen hatten eine Antwort auf die Frage nach dem Tod: Es wird weitergehen. Der entscheidende Faktor für die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod war die Beziehung eines Menschen zu Christus. Doch findet die Hoffnung ganz unterschiedliche Beschreibungen.

Die Schriften des Neuen Testaments beschreiben die Zukunft so: Was Gott in der Gegenwart bereits begonnen hat, wird vollendet werden. Sie stehen damit in der Tradition apokalyptischer Vorstellungen des Frühjudentums, die über Zeit und Raum der Geschichte auf ein Jenseits hinausgreifen. Durch Jesu Botschaft von der Königsherrschaft Gottes, die schon in der Gegenwart anbricht, erhalten diese Vorstellungen jedoch eine neue Prägung. Nun durchdringen sich die Heilsdimensionen von Zukunft und Gegenwart: Heil beginnt schon jetzt und setzt sich über den Tod hinaus fort. Das Osterereignis, also die Überzeugung von der Erweckung Jesu aus dem Tod durch Gott, wurde zum entscheidenden Anstoß für die christliche Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Wenn – laut Paulus – durch den Tod Jesu am Kreuz die Rettung und Versöhnung mit Gott bereits geschehen ist, dürfen diejenigen, die zu Christus gehören, berechtigt auf die unzerstörbare Gemeinschaft mit Gott nach dem Erdenleben hoffen.

Von ihrer Herkunft aus dem Frühjudentum her erklären sich die vielfältigen Modelle und Bilder vom Leben nach dem Tod, die im Neuen Testament aufeinander bezogen sind oder einfach nebeneinanderstehen. Weil es um Aussagen über die für Menschen unzugängliche „himmlische“ Sphäre geht, treten die Vorstellungen überwiegend in Bildern und metaphorischer Sprache auf. Die Grundaussage – die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod – wird mithilfe unterschiedlicher Modelle und aus verschiedenen Blickwinkeln entfaltet.

Ein Interesse, die Vielfalt in ein theologisches System zu bringen, lassen die Schriften nicht erkennen. Sieben wesentliche Modelle für ein Leben nach dem Tod im Neuen Testament werden hier vorgestellt.

1. Modell
Der Anfang: Parusie, die Vollendung beginnt bald
Christus kommt in Kürze wieder, die Toten werden auferstehen und Lebende und Verstorbene gehen gemeinsam zu Gott.

Der Begriff Parusie bedeutet eigentlich „Gegenwart“, „Ankunft“. An Stellen wie 1Thess 2,19; 3,13; 4,15; 5,23; 1Kor 15,23; Mt 24,3.27.37.39 ist damit das Wiederkommen des in den Himmel erhöhten Christus am Ende der Zeiten gemeint: Damit beginnt die Vollendung der Heilszeit Gottes. Diese vollendete Gottesherrschaft wurde als Neuwerdung des ganzen Kosmos erwartet (1Kor 7,31; 15,23-28; Mt 28,20). Die nahe Parusie Christi sollte für die Christen die entscheidende Heilserfahrung bringen: die öffentliche Bestätigung ihres Christseins und die heilvolle und unverlierbare Gemeinschaft mit Christus. 1Thess 4,15-17 schildert die Parusie mithilfe apokalyptischer Motive: Christus wird vom Himmel herabkommen, ein Befehlsruf, die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes werden erschallen, dann werden „die Toten in Christus“ auferstehen und zusammen mit den dann noch Lebenden auf Wolken in die Luft entrückt, zur öffentlichen Begegnung mit dem Herrn. Das Ergebnis ist tröstlich: „So werden wir allezeit mit dem Herrn sein.“ Der Heilszustand wird schlicht immerwährende Gemeinschaft mit Christus beschrieben.

2. Modell
Die Basis: ewige Gemeinschaft mit Christus
Jesus ist der erste aus den Toten Erweckte und seine Anhänger/innen werden folgen.

Indem Gott Jesus von den Toten erweckt hat – so die Grundüberzeugung der ersten Christen (1Thess 4,14; 1Kor 15,3-5; Röm 4,24) -, hat die endzeitliche Totenerweckung begonnen. Wer zu Jesus gehört, hat die Hoffnung, Anteil an der Totenerweckung und der neuen Heilszeit Gottes zu erhalten. Die Metapher von Jesus als dem „Erstling der Entschlafenen“ (1Kor 15,20) und „Erstgeborenen unter vielen Brüdern und Schwestern“ (Röm 8,29) drückt diese biologische Geburt, sondern die Erhöhung und Einsetzung Jesu in die endzeitliche Sohnschaft Gottes (vgl. Ps 89,28). Daran haben die Seinen Anteil. Das Bekenntnis zu Jesus als „Herrn“, kyrios, und die Überzeugung von seiner Erweckung aus den Toten verbürgen nach Röm 10,9 gerettet zu werden und an Gottes Heilszeit umfassend teilzuhaben. Daher können die ersten Christen überzeugt sein, dass die Gemeinschaft, die Beziehung mit Christus im Erdenleben über die Todesgrenze hinaus Bestand hat: „Dann werden wir immer beim Herrn sein“ (1Thess 4,17). Die unverlierbare Gemeinschaft mit Christus ist auch hier das Heilsbild.

Röm 6,39 verbindet die Zukunftshoffnung mit der Taufe. Wer in der Taufe Anteil an Jesu Tod und Begräbnis erhalten hat, darf auch die feste Hoffnung auf Teilhabe am unverlierbaren Leben mit Christus haben. Er/sie erfährt jetzt schon die Befreiung von der Sündenmacht und die Gemeinschaft mit Christus. Die Überzeugung, dass Gott Jesus von den Toten erweckt hat, begründet die Hoffnung auf Teilhabe an der Erweckung. Die schon geschehene Rettung ist daher zugleich Hoffnungsgut („Denn auf Hoffnung hin sind wir gerettet“, Röm 8,24). Paulus denkt Erweckung als Teilhabe der Christen an Christus.

3. Modell
Leiblichkeit: Der Leib wird im Tod verwandelt
Mit dem verwandelten Leib können wir im Himmel leben, wir werden neu bekleidet sein: ein engelsgleicher Zustand ...

Die Vorstellung einer Verwandlung des Menschen mit dem Tod erklärt, wie ein Mensch überhaupt in der Gegenwart Gottes – bildlich gesprochen: im Himmel – leben kann. Die Verwandlung gewährleistet Kontinuität, denn die neu geschaffene Existenz bei Gott ist mit dem irdischen menschlichen Ich identisch. In 1Kor 15,35-55 beschreibt Paulus die Verwandlung mit den Bildern des Samenkorns und verschiedener Körper aus der Natur. Auch der verwandelte Mensch besitzt eine Form von Materialität, von Leiblichkeit. Den Unterschied zwischen irdischem und himmlischem Leib verdeutlicht Paulus durch die Gegenüberstellung von ,,Verweslichkeit“ und „Schwachheit“ einerseits, „Unverweslichkeit‘‘ und ,,Herrlichkeit“ andererseits. Aus dem irdischen Leib wird ein ,,geistlicher Leib“, wenn wir ,,das Bild des Himmlischen tragen werden“, d. h. wie der erhöhte Christus gestaltet werden. Paulus formuliert dies in 15,51 als „Geheimnis“: „Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber verwandelt werden“ (bei der endzeitlichen Totenerweckung). Nach Phil 3,20f wird Christus bei seiner Wiederkunft „unseren Leib der Niedrigkeit verwandeln, gleichgestaltet mit seinem Leib der Herrlichkeit“. 2Kor 5,1-8 beschreibt die neue Existenzweise mit den Bildern des „Bekleidet-Werdens“ und der Heimat beim Herrn (Christus): „Im gegenwärtigen Zustand seufzen wir und sehnen uns danach, mit dem himmlischen Haus überkleidet zu werden. So bekleidet, werden wir nicht nackt erscheinen.“

In Mk 12,18-27 weist Jesus die Position der Sadduzäer, einer einflussreichen jüdischen Gruppierung, zurück, dass es keine Totenerweckung gebe (Apg 23,8). Die Sadduzäer konnten sich dazu immerhin auf die Tora berufen, in der keine endzeitliche Totenerweckung in Aussicht gestellt wird. Die Fangfrage der Sadduzäer an Jesus, welchem ihrer sieben Ehemänner eine Frau bei der Auferstehung angehören wird, will die Absurdität eines Glaubens an die Auferstehung erweisen. Die Antwort Jesu hält aber die Überzeugung von der endzeitlichen Totenerweckung fest und erklärt auch die gewandelte Art der postmortalen Existenz, die irdische Kategorien hinfällig macht: „Wenn nämlich die Menschen von den Toten auferstehen, heiraten sie nicht, noch lassen sie sich heiraten, sondern sind wie Engel im Himmel“ (Mk 12,25). Engel stellte man sich als Lichtgestalten, als Geistwesen vor (Äthiopisches Henochbuch 15,6f; 106,2-5), und so konnte Jesus wie auch andere jüdische Zeitgenossen (äthHen 51,4; 104,4.6; Syrische Baruch-Apokalypse 51,5.10; Philo, Sacr 5,4-6) die Verwandlung der Erweckten als engelsgleichen Zustand beschreiben. Konkreter wird auch Jesus nicht.

4. Modell
Eine Auszeichnung: individuelles Heil unmittelbar nach dem Tod
Manche müssen nicht bis zum Ende der Zeiten auf die Belohnung warten.

Während man sich die Existenz eines Verstorbenen zwischen Tod und allgemeiner Totenerweckung am Ende der Zeit meist als eine Art Todesschlaf dachte (1Thess 4,13-15), kennen einige Texte die Vorstellung eines Heilszustands als individuelles Geschick unmittelbar nach dem Tod. In Phil 1,23 drückt Paulus seine Sehnsucht aus, zu sterben und sogleich eine besondere Form der Gemeinschaft mit Christus zu erfahren (vgl. 2Kor 5,8). Der am Kreuz sterbende Jesus macht in Lk 23,42f dem Mitgekreuzigten, der ihn anerkennt, die Zusage: „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“
Das Gleichnis vom armen Lazarus erzählt in Lk 16,22f, wie Engel Lazarus nach seinem Tod in Abrahams Schoß tragen, während sich der reiche Mann, der ihn auf Erden nie beachtet hatte, in der Hölle wiederfindet. In Offb 6,9f sieht der Seher unter dem himmlischen Brandopferaltar die „Seelen“ (eine gewandelte Lebensform) der Märtyrer, die von Gott angesichts ihres Geschicks Gerechtigkeit einfordern. In diesen Texten wird ein Zwischenzustand für besonders bewährte Christen vor der allgemeinen Totenerweckung beschrieben. Man könnte von einer Belohnung sprechen. Für ihre Standhaftigkeit erfahren sie sogleich eine besondere Nähe zu Gott.

5. Modell
Heilsbilder: Paradies, himmlisches Festmahl, himmlische Stadt
Wo sich die Erlösten nach ihrem Tod aufhalten.

Den Heilszustand, in den der Mitgekreuzigte unmittelbar nach dem Tod eintritt, beschreibt Lk 23,43 mit der Vorstellung vom Paradies: Zusammen mit Jesus (!) wird er ,,heute“ noch im Paradies sein. Das Wort Jesu bewirkt, was es sagt – und verändert damit für den Mitgekreuzigten die Wirklichkeit. Jetzt, noch in der Gegenwart des tödlich bedrohten Lebens, hat für ihn die Heilszeit begonnen. Das Paradies, bekannt als idealer Heilsort des Menschen (Adams und Evas) zu Beginn der Schöpfung, wird im Frühjudentum zum himmlischen Aufenthaltsort der Erlösten zwischen ihrem Tod und der endzeitlichen Totenerweckung (beispielsweise in äthHen 25,4f; 60,7f; 61,12; 70,4; 89,52; 4Esra 4,7f; 7,36; 8,52;Testament Levis 18,10f; Apokalypse des Mose 37,5).

Andere Bilder der Vollendung beziehen sich auf das Ende der Zeiten: das himmlische Mahl (Mk 14,25; Lk 22,29f), die himmlische Stadt, der die Christen jetzt schon zugehören (Gal 4,26; Phil 3,20; Hebr 12,22f), die bleibende Gemeinschaft mit Gott (Offb 21,7). Offb 21,9-22,5 zeichnet die Vollendung im Bild der idealen Stadt – des himmlischen Jerusalem -, in deren Mitte Gott selbst ist und die deswegen keines Tempels mehr bedarf. Die Absicht dieser Bilder besteht darin, überhaupt eine Vorstellung eines unverlierbaren Heilszustands zu gewinnen, der menschliche Einsicht übersteigt. Dazu überhöht man aus dem kulturellen Leben bekannte Heilsbilder.

6. Modell
Endgültige Gerechtigkeit: göttliches Gericht
Einem Gericht wird das menschliche Verhalten bewertet. Doch wer sich im Leben für Gott entscheidet, braucht das Gericht nicht zu fürchten.

Die Vorstellung eines Endgerichts war im frühen Judentum, besonders in apokalyptischen Schriften, geläufig. Sie steht im Zusammenhang mit der Aufrichtung von Gottes guter Königsherrschaft. Die Vernichtung alles Gottlosen bildet die Voraussetzung dafür, wobei Gott gerechte Menschen und Strukturen von ungerechten trennt. Im Auftrag Gottes kann auch der Messias bzw. der Menschensohn die Gerichtsfunktion übernehmen (Dan 7,13f; äthHen 45f; 48,8-10; 53f; 69,26-295 4Esra 13). Manche Schriften buchstabieren das Gericht als Urteil gemäß den Taten der Menschen aus, wozu alle Toten zuerst erweckt werden müssen (Dan 12,2f; vgl. Lk 16,22-26; Apg 24,15). Andere Texte kennen nur Erweckung der Gerechten (vgl. Lk 14,14), die Gottlosen dagegen bleiben Tod.

Auch bei den Christus-Gruppen bildete die Gerichtsvorstellung die Basis der Endzeiterwartung. Das gilt sowohl die Jesus-Tradition in den Evangelien (z. B. Mk 9,43.45.47f; Lk 16,19-26; Mt 13,36-43) als auch für Paulus (z. B. Röm 1,18-3,20). Doch weil Gott im Christus-Ereignis sein Heil den Menschen zugewandt hat, steht für die ersten Christen fest, dass sie bereits aus dem Gericht gerettet sind. So ist 1Thess 1,10 überzeugt, dass Jesus ,,uns aus dem kommenden Zorngericht rettet“ (vgl. Röm 5,9). Andere Schriften drücken diese Zuversicht mit dem Bild aus, dass die Namen der zu Christus Gehörenden bereits im „Buch des Lebens“ verzeichnet sind (Phil 4,3; Lk 10,20; Offb 3,5; 20,12.15; 21,27). Paulus deutet das Heilsgeschehen in Christus als „Versöhnung“ mit Gott, was bedeutet, dass Feindschaft und Trennung, die bislang die Beziehung zu Gott bestimmten, von Gott bereits überwunden wurden (2Kor 5,18-20; Röm 5,10f; 11,15).
Dennoch spielt das Gericht weiterhin eine Rolle. Es steht für die Verantwortung des Menschen, der selbst bestimmt, wie sein Ergehen in der endzeitlichen Zukunft aussehen wird. Das Gericht ist die Konsequenz seines irdischen Lebens, der grundlegenden Lebensorientierung, wie Gal 6,8 im Bild vom Säen und Ernten einschärft: „Denn wer auf sein eigenes Fleisch setzt, wird vom Fleisch Vergänglichkeit ernten; wer aber auf den Geist setzt, wird vom Geist ewiges Leben ernten.

Das Fleisch steht für die rein irdischen Maßstäbe und eigenen Vorteile. Das Gegenteil ist eine Lebensorientierung am Geist Gottes. Die Ernte beinhaltet das Geschick am Ende der Zeiten: Vergänglichkeit, das Ende allen Lebens, oder ewiges Leben, das unverlierbare Leben in der Gemeinschaft Gott. Die Lebensentscheidung des Menschen wird damit theologisch sehr ernst genommen. Ebenso hält Paulus in 2Kor 5,10 fest: „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi“ (in Röm 14,10 ist es der Richterstuhl Gottes). Das Leben auch der Christen wird vor Gott Anerkennung oder Verurteilung finden. Allein Gott – und keinem Menschen – kommt dabei die Funktion des Richters zu.

1Kor 3,12-15 deckt das Gericht die Qualität der Arbeit Einzelner beim Aufbau von Gemeinden auf und mündet in Lohn oder Schaden, d. h. Anerkennung oder Ablehnung. Dabei geht es aber nicht grundsätzlich um Heil oder Unheil, denn die Rettung steht fest, sie geschieht allerdings durch Feuer“, also im Sinne einer Läuterung. Bei einer Abwendung von Christus und einem Rückfall in die ,,alte Welt“ droht weiterhin das Gericht (1Kor 10,5-12; 11,28-32; Hebr 6,4-8; 10,26-31).

In der Offenbarung steht das Gericht über die gottlose Welt am Ende der Zeit (Offb 14,14-20; 19,11-21; 20,7-10). Es findet Ausdruck im Gericht über die erweckten Toten gemäß ihren Taten, die in Büchern verzeichnet sind (Offb 20,11-15), wobei die grundsätzliche Orientierung an Gott, weniger einzelnes ethisches Tun, im Blick ist.

Auch Mt 25,31-46 formuliert die Vorstellung des endzeitlichen Gerichts, allerdings nach dem neuen Kriterium, ob sich jemand den Geringsten zugewendet hat, in denen Christus selbst erkannt wird. Ein ethisches Leistungsdenken lässt sich daraus nicht ableiten, denn wer zu Christus gehört und dies konsequent lebt, braucht kein Gericht zu fürchten (Mt 20,1-16).

Zusammenfassend kann man sagen: Im Gericht verwirklicht Gott seine Gerechtigkeit gegenüber gottlosen Menschen. Es bedeutet Gerechtigkeit für die Opfer von Unrecht und Gottes Sieg über das Böse. Die Hoffnung auf Gottes Gericht stärkt einerseits das Selbstbewusstsein der Christen, die sich ihrer Lebenswelt als ohnmächtige Randgruppen erfahren. Andererseits verweist sie auf die Verantwortung der Christen für ihr Leben.

Der Gerichtsgedanke will das Bewusstsein wecken, sich im Sinne Gottes zu verhalten und sich im Alltag des Lebens immer wieder neu der Gemeinschaft mit Christus zu orientieren.

7. Modell
Eine eigene Sprachform: das Johannesevangelium
Wer auf Christus vertraut, hat hier und jetzt ewiges Leben.

Das Johannesevangelium betont, dass die Entscheidung über das ewige Leben bei Gott in der Gegenwart fällt. Wer im Vertrauen auf Gott und Christus, seinen Gesandten und Sohn, lebt und sich zu ihm bekennt, hat schon jetzt Anteil am ewigen Leben – und das Gericht ist schon entschieden. Nach Joh 5,24 besitzt er ,,ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod in das Leben hinüber­ gegangen“. 5,25 verbindet die Zeitebenen: Die Stunde, die kommt und in der die Toten die Stimme des Gottessohnes hören, d. h. in der sie Leben haben werden, ist bereits jetzt da.

Entscheidend ist, dass Jesus von Gott die Vollmacht erhalten hat, in der Gegenwart das ewige Leben für die Zukunft zu geben (5,26). In Joh 11,25 offenbart sich Jesus: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt“.

Trotz dieser Betonung der Gegenwart greift das Johannesevangelium auch die Vorstellung vom Endgericht auf. Jesus besitzt die Vollmacht zum Gericht – deshalb nennt Joh 5,27 ihn ,,Menschensohn“, was an die Richtergestalt der Endzeit aus Dan 7 erinnert. Joh 5,28f präzisiert mittels eines bekannten frühjüdischen Motivs: Bei der zukünftigen Totenerweckung erfolgt das Gericht nach den guten und bösen Taten der Menschen (Dan 12,2). Dies bedeutet aber keinen Gegensatz zwischen gegenwärtiger Gabe des Lebens und dem Endgericht, denn auf Christus vertrauen und Gutes tun meint letztlich dasselbe, und so führt auch das Gericht für die Glaubenden zum ewigen Leben.

Laut Joh 3,18 entscheidet sich das Gericht in der Gegenwart an der Beziehung zu Jesus, d. h. ob man ihn als Sohn Gottes erkennt: „Wer auf ihn (den Sohn) vertraut, wird nicht gerichtet; wer aber nicht vertraut, ist schon gerichtet.“ Und so ist auch das Gericht über die gottferne Welt jetzt schon entschieden: „Jetzt wird Gericht gehalten über diese Welt“ (12,31). Da die Zugehörigkeit zu Jesus bereits jetzt das „ewige Leben“ verbürgt, denkt Joh 17,24 auch die Vollendung als Gemeinschaft: mit Christus in seiner Herrlichkeit, als himmlisches Leben. Die Erweckung der toten Christen und die Aufnahme bei Gott sind dabei vorausgesetzt. So stellt Jesus in 14,2f ein doppeltes Heilsbild in Aussicht – am Ort Gottes und in der Gemeinschaft mit Jesus zu sein: „Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen. ... Und wenn ich gegangen bin und euch einen Platz bereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit wo ich bin, auch ihr seid.“

Prof. Dr. Stefan Schreiber ist Professor für Neutestamentliche Wissenschaft an der Universität Augsburg. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist seit Jahren die Christologie, insbesondere Anfänge der Deutung Jesu als Christus im Urchristentum sowie die Lebenswelt der frühen Gemeinden in der Kaiserzeit Roms und ihre Verwurzelung im frühen Judentum.

In: WUB 4/2020; S. 29-33
Mit freundlicher Genehmigung durch den Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH
vom: 07.05.2021

Zur weiteren Information:
https://www.bibelwerk.shop/produkte/leben-nach-dem-tod-von-osiris-zu-jesus-3002004

Prof. Dr. Stefan Schreiber

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