„Gott wird am Ende an den Toten ein Wunder wirken“

Theologische Anregung

Interview über den Gott des Alten und Neuen Testaments

Ist der Gott vor der Durchsetzung von Auferstehungshoffnungen ein anderer als der Gott, der im Neuen Testament Jesus auferweckt? Und – über die ganze Bibel gesehen -was kann man über diesen Gott überhaupt aussagen, der über den Tod hinaus bei uns sein soll? Wir haben Johannes Schnocks, Professor für Altes Testament in Münster, gebeten, uns das zu erläutern.

Welt und Umwelt der Bibel: Zur Zeit Jesu und des Neuen Testaments hatte sich in vielen Strömungen und Gruppen des Judentums eine Auferstehungshoffnung durchgesetzt. Aber viele Texte der alttestamentlichen Schriften sprechen ja gar nicht von Gott als Totenerwecker. Der Gott Israels hatte in den Vorstellungen vieler Jahrhunderte keinen Zugriff auf die Unterwelt. Ist das noch derselbe Gott?

Johannes Schnocks: Es gibt theologische Aussagen über Gott, die zur Rede von Gott im Zusammenhang von Totenauferweckung gehören, auch in Texten, die nicht explizit von Auferstehung sprechen. So wird Gott zum Beispiel in Psalm 88,2 „Gott meiner Rettung“ genannt, und zwar in einem Text, der ein paar Verse später fragt, ob Gott „an den Toten ein Wunder tun“ wird. Gott bleibt derselbe, wobei wir in den biblischen Texten sehr unterschiedliche Stimmen über diesen Gott hören. In der religionsgeschichtlichen Forschung fragt man, ob bestimmte Vorstellungen wie der Auferstehungsglaube aus einer Nachbarkultur, etwa aus Persien, übernommen wurden. Aber so etwas geht nicht einfach per copy and paste. Wie im ganzen Mittelmeerraum, mischen sich permanent religiöse Vorstellungen. Mir geht es aber darum: Bestimmte theologische Elemente und Weisen, wie man über Gott redet, ziehen sich kontinuierlich durch eine große Breite von alttestamentlichen Texten und werden auch wichtig, wenn es um Auferstehung geht.

Sie haben eben ,,Gott meiner Rettung“ aus Psalm 88 zitiert, dem Psalm im Angesicht des Todes. Ist „Retter“ so ein kontinuierliches Element?

Man kann sich fragen, warum seit Jahrhunderten Psalm 23 bei Beerdigungen gebetet wird und das tröstlich ist: „Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich.“ Dieser Gott verfügt also über Instrumente, über Fähigkeiten und Kompetenzen, die angesichts des Todes trösten können. Er wird in diesem Psalm als jemand bekannt, der auch angesichts des Todes rettet. Das ist aber gerade kein eschatologisches Konzept, das mir erklärt, dass wir erst mal alle 1000 Jahre im Grab liegen, bevor dann ein Endgericht kommt, sondern es ist einfach nur die Aussage: Dieser Gott ist ein Retter. Seine Rettungskraft ist auch angesichts des Todes wirksam. Das finde ich auch in anderen Psalmen, etwa Ps 49 oder 73.

Land des Vergessens“ nennt die Bibel die Unterwelt. Das Gegenteil wäre ein ,,Land des Erinnerns“. Was bedeutet es, dass Gott uns im Gedächtnis halten, unserer gedenken, sich an uns erinnern soll?

Das Gedenken Gottes in der Bibel ist immer eine Tätigkeit Gottes und nicht einfach eine memotechnische Leistung. Dass Gott eines Menschen gedenkt, kann eine Umschreibung von Rettung sein. Gott gedenkt beispielsweise der Hanna und dann kann sie schwanger werden.

Die Aussage in Psalm 88,6 ist daher wirklich ziemlich vernichtend, wenn es heißt, dass der Beter sich fühlt wie jene, „die im Grab liegen, derer du nicht mehr gedenkst, abgeschritten sind sie von deiner Hand“. Das würde die definitive Trennung zwischen Gott und Mensch bedeuten. Im Zusammenhang spürt man eine verzweifelte Angst dieses Beters, wenn er sagt: ,,mein Leben berührt die Totenwelt“ und „den ganzen Tag, Herr, ruf ich zu dir“. Das heißt, er selbst baut noch eine Beziehung zu Gott auf, hat aber Angst, von seiner Umwelt so behandelt zu werden wie einer, für den Gott nichts mehr tun kann. Und dann kommen im Zentrum aber eben Fragen: „Wirst du an den Toten ein Wunder tun? Werden Schatten aufstehn, um dir zu danken? Erzählt man im Grab von deiner Huld, von deiner Treue im Totenreich? “ Wenn die Psalmen poetische Texte sind, ist es für das Verständnis wichtig, dass hier Fragen und keine Aussagen stehen. Es geht ja um ganz zentrale Eigenschaften Gottes: seine Wunder, seine Huld und Treue – und der Dank an ihn. Als Fragen enthalten diese Verse eine Offenheit – vielleicht kann ich ja doch ein kleines Ja auf diese Fragen für mich finden, oder zumindest eine Hoffnung.

In Ijob 14,13 spielt Ijob mit dem eigentlich unmöglichen Gedanken, dass Gott vielleicht doch seiner gedenken, sich seiner erinnern könnte, wenn er in der Scheol, der Unterwelt, wäre, wenn er also tot ist: „Dass du mich in der Unterwelt verstecktest, mich bergen wolltest, bis dein Zom sich wendet, eine Frist mir setztest und dann an mich dächtest!“ Das bedeutet nichts anderes, als dass Gott ihn doch retten könnte. Damit verbunden ist ein anderer Gedanke, der der Gottesnähe.


Also ein Gott, der nah ist …

Wir lesen vielfach die Aussage, dass Gott „mit uns ist“. Gott sagt von sich selbst – in unterschiedlichen Formulierungen – „Ich bin bei dir“. Das finden wir schon in den Erzelternerzählungen und es ist offenbar theologiegeschichtlich in der Bibel ein ganz wesentlicher Punkt, gerade auch in den Psalmen, wie eben in Psalm 23 zitiert: „denn du bist bei mir“, Umgekehrt sagen auch Menschen „Ich bin bei dir“, etwa in Psalm 73. Das ist also wechselseitig und eine wichtige, intime Aussage der Nähe zwischen Gott und Mensch – immer punktuell, aber sie ist da. Wir haben eine ganze Reihe von biblischen Texten, die beschreiben, dass Gott diese Nähe will, auf uns zugehen will, unter uns Menschen wohnen will. Und das ist dann eine beglückende Gottesgemeinschaft und gutes Leben auch angesichts des Todes wie in Ps 16 und 23 oder sogar jenseits des Todes wie in Ps 73.

Eben kam der Psalmbeter zu Wort, der hoffte, dass Gott vielleicht an den Toten ein Wunder tun könnte. Wie gehört das zu Gott?

Wenn man fragt, was den biblischen Gott ausmacht, wenn wir also einen Steckbrief entwürfen: Gott kann dies und ihn kennzeichnet das … - dann wäre ein wesentlicher Punkt, dass er tatsächlich Wunder wirken kann. Und zwar Wunder nicht in der Definition, dass er die Naturgesetze außer Kraft setzt, sondern dass Gott seine Macht, seine Souveränität in dieser Schöpfung zeigt. So wird in Ez 37 die Belebung der Totengebeine auch analog zu Gen 2 als Neuschöpfung stilisiert. Gott, der Wunder tut, ist sozusagen eine Umschreibung des Gottseins Gottes. Würde man sagen, es gibt Wunder, die Gott nicht wirken kann, würde man Gott das Gottsein absprechen. Von daher ist die Frage in Psalm 88 ziemlich stark formuliert: „Wirst du an den Toten ein Wunder tun?“ Würde Gott auf diese Frage mit einem „Nein“ antworten, würde das bedeuten ,,Ich bin auch nicht Gott“. Der biblische Glaube – im Blick auf die Auferstehungshoffnung – besagt, dass Gott am Ende ein ultimatives Wunder an den Toten wirken wird, wie er auch in einem ultimativen Wunder am Anfang die Welt erschaffen hat. Die Rede vom Gott, der Wunder tut, ist eine zutiefst biblische Gottesbeschreibung.

Wieso ist es wichtig, die alttestamentlichen Texte zu kennen, um Auferstehung im Neuen Testament zu verstehen? Geht es nicht auch ohne?

Letztlich ist es deshalb wichtig, weil wir eine Bibel haben, die aus zwei Teilen besteht aber eben doch eine ist – und was beide Teile verbindet, ist derselbe Gott. Natürlich gibt es religionsgeschichtliche Entwicklungen. Aber der Gott, von dem im Alten oder Ersten Testament die Rede ist, ist derselbe Gott, von dem im Neuen Testament die Rede ist und der von Jesus von Nazareth als Vater angesprochen worden ist. Es besteht die Gefahr, dass uns diese Bibel auseinanderbricht, wenn man sagt, dass die Kernaussage des Neuen Testaments ist, dass Gott Jesus aus den Toten auferweckt habe – und das habe mit dem Ersten Testament nichts zu tun. Das ist theologisch nicht plausibel, weil für die ersten Christen ,,die Schrift“ der religiöse Hintergrund war, um ihre Erlebnisse mit Jesus einordnen zu können. Der Rahmen blieb das, was wir heute als Erstes Testament bezeichnen. Von daher ist es nicht sachgerecht, einen Keil zwischen die beiden Teile zu treiben. Und auch wenn wir in der Tradition dieser Hebräischen Bibel zusammen mit dem Judentum stehen, ist es nicht sachgerecht, weil auch das Judentum die Auferweckung von den Toten kennt und bekennt. Das ist fest verankert im rabbinischen Judentum. Die Traditionen von Judentum und Christentum können an dieser Stelle nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern wir sind viel näher beieinander, als das Christen manchmal erscheinen mag.

Die Fragen stellte Helga Kaiser.

Prof. Dr. Johannes Schnocks lehrt Zeit- und Religionsgeschichte des Alten Testaments an der Universität Münster. Neben der Psalmen- und ljobforschung sowie Themen zur göttlichen und menschlichen Gewalt hat er sich besonders mit Auferstehungsvorstellungen im Alten Testament beschäftigt. Vgl. dazu: Rettung und Neuschöpfung. Studien zur alttestamentlichen Grundlegung einer gesamtbiblischen Theologie der Auferstehung. V&RUnipress 2009.

In: WUB 4/2020; S. 26f
Mit freundlicher Genehmigung durch den Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH
vom: 07.05.2021

Zur weiteren Information:
https://www.bibelwerk.shop/produkte/leben-nach-dem-tod-von-osiris-zu-jesus-3002004

Prof. Dr. Johannes Schnocks

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