Ohne Kulturanthropologie keine Mission

Deutschland

21. Dez 2021

Das “Anthropos" feiert in diesem Jahr 90. Jubiläum - eine willkommene Gelegenheit, auf die Geschichte des Steyler Instituts zu schauen.

Das Anthropos Institut wurde vor 90 Jahren gegründet und bis heute intensiv mit den Kulturen der Menschen der Welt beschäftigt. Das Institut ist eine wissenschaftliche Einrichtung, die einen wesentlichen Beitrag zur Verkündigung des Evangeliums leistet. Pater Dr. Joachim Piepke SVD schaut auf die Vergangenheit zurück und beantwortet die Fragen von Zita Fassbender, einer jungen Praktikantin von steyl-medien.

Zita
Pater Joachim Piepke SVD

Worum geht es im Anthropos-Institut der Steyler Missionare in Sankt Augustin?
Im Anthropos-Institut geht es im Grunde um Erforschung der verschiedensten Kulturen der Welt. Bevor man die Verkündigung, Evangelisierung oder Mission beginnt, muss man die Sprachen und die Kulturen dieser Völker kennenlernen. Es ist also eine Art Grundlagenforschung in den Geisteswissenschaften. Im Ausdruck der Sprache und des Denkens finden wir die Vorstellungen dieser Völker, die Weltvorstellungen, die religiösen Vorstellungen und die Lebensweise bzw. die sozialen Verhältnisse der Menschen und ihrer Kulturen.

Was bedeutet Anthropologie?
Der Name kommt aus dem Griechischen. Anthropos heißt einfach der Mensch. Wir sprechen einmal von der sogenannten physischen Anthropologie. Die befasst sich mit dem Aussehen des Menschen also mit seinen Kopf- und Schädelformen, der Größe seiner Knochen und so weiter, also seiner physiologischen Zusammensetzung. Wir kennen verschiedene Menschenarten, ein Mensch in Afrika hat ganz andere Körperformen als ein Nordeuropäer. Diese Unterschiede werden erforscht in der physischen Anthropologie. Die andere Anthropologie befasst sich mit den Kulturen und wir sprechen deshalb auch von Kulturanthropologie.

Wozu brauchen die Steyler Missionare ein Anthropos-Institut?
Die Steyler brauchen ein solches Institut, weil sie ja seit ihrer Gründung immer in den verschiedensten Erdteilen unter Völkern arbeiten wollten, die noch nichts vom Christentum gehört hatten. Um das zu ermöglichen, musste man natürlich die Kulturen dieser Völker erstmal kennenlernen. Wir können nicht einfach zu den fremden Völkern gehen und ein deutsches Christentum hinüberbringen. In der Vergangenheit wurde das zum Teil auch aus Unkenntnis so gemacht. Heute wissen wir, dass es so nicht geht. Aus diesem Grunde wurde dann so um die Jahrhundertwende, um 1900 herum, diese Idee geboren, ein Institut zu schaffen, um diese Kulturen zu erforschen und dann diese konkreten Forschungsergebnisse an die Missionare weiterzugeben.

Würden Sie sagen, dass man ohne kulturelle Anthropologie nicht - oder zumindest nicht erfolgreich - missionieren kann?
Ja, das würde ich sagen. Ohne die Kulturanthropologie und die Kenntnisse der jeweiligen Kultur kann man den christlichen Glauben den Menschen in Afrika, Asien oder Lateinamerika nicht plausibel machen. Einerseits müssen wir unseren abendländischen Glauben an die Kultur der Menschen anpassen. Anderseits wird sich dadurch auch in irgendeiner Weise die Kultur dieser Menschen verändern. Beides ist dabei wichtig, auf der einen Seite die Anpassung des Glaubens an die neue Kultur und auf der anderen Seite muss man sehen, welche Veränderung der jeweiligen Kultur stattfindet und wie das geschehen kann.

Wir müssen vorsichtig sein bei der Missionierung oder Evangelisierung, um wertvolle Glaubensvorstellungen der anderen Kultur nicht einfach zu zerstören. Wenn die Menschen diesen Glauben haben, dann ist das ja ein Ausdruck ihrer Lebenserfahrung in ihrer Kultur, die durch Jahrhunderte oder Jahrtausende hindurch gewachsen ist. Da muss ich eben von meinem Standpunkt aus sehen, wie kann ich diese Lebenserfahrung der anderen miteinbauen, sodass auch mein Christentum akzeptiert wird.

Was würden Sie sagen, wie weit das Christentum sich verändern und sich der anderen Kultur anpassen dürfte, sodass es noch Christentum bleibt?
Ganz allgemein ist es schwer zu sagen. Das Christentum besteht ja in der Person Jesu Christi, der sich als Erlöser der Menschen von der Erbsünde offenbart hat. Was wir als Erbsünden oder Ur-Sünde bezeichnen, ist ja im Grunde genommen nichts anderes, als das Erbe aus der Evolution. Wir haben in uns einen Antrieb zum Überleben und dieser Überlebenstrieb führt dazu, dass jedes Lebewesen versucht, über andere zu dominieren. Der eine frisst den anderen und in der Menschheit ist das nicht anders. Der Anspruch des Christentums besteht darin, dass diese Kette der Gewalt und der Gewaltanwendung durch Jesus Christus zerbrochen wurde. Der Mensch soll zur Einsicht kommen, dass es möglich ist, anders zu überleben, nämlich aufgrund von sozialen Kontakten. Also statt meinen Nachbarn totzuschlagen, kann ich mit ihm in Kontakt treten und mit ihm verhandeln. Statt den anderen zu hassen und zu verfolgen, soll ich ihn lieben, das ist eine ethische Aussage. Wenn ich das etwas mehr wissenschaftlich ausdrücken will, dann würde ich sagen, es geht darum, die Gewaltspirale der Evolution zu durchbrechen. Aufgrund unseres Verstandes, der uns mitgegeben wurde und durch die Botschaft Christi, sind wir fähig, das auch umzusetzen. Zum Beispiel durch gerechte Gesetze in einem Volk, den gerechten Umgang zwischen den Menschen, zwischen Mann und Frau, zwischen Erwachsenen und Kindern. Ja, da gehören dann auch die Menschenrechte hinein, die wir kennen.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es im Grundgesetz der deutschen Verfassung. Ist diese Aussage europäisches Gedankengut, oder gibt es da einen christlichen Einfluss?
Viele Dinge, die wir kennen und die wir heute als europäisch betrachten, sind durch das Wirken des christlichen Glaubens gewachsen. Die Gesellschaften haben sich durch das Christentum verändert in Hinblick auf eine gerechtere Gesellschaft und eine friedvolle Gesellschaft. Heute werden diese Werte als europäisches Gut gesehen. Dass der Ursprung im Christentum liegt, wissen viele Menschen nicht mehr.

Sie erforschen also die Menschen und ihre Kulturen. Da gibt es sicherlich Unterschiede in vielerlei Hinsicht. Erkennen Sie in Ihrer Forschung auch bestimmte Aspekte, die universale Gültigkeit aufweisen?
Ja, das fängt natürlich schon bei der Familie an. Eine Familie ist im Grunde genommen da, um das Überleben des Stammes zu sichern. Diese Aspekte sind in jeder Kultur vorhanden. Was man in allen Kulturen eigentlich findet, ist der Gedanke, dass unsere Vorfahren, die Verstorbenen, nicht tot sind, sondern am Leben der Lebenden teilnehmen, als Geister. Diese Vorstellung finden wir in allen Kulturen. Und noch ein Aspekt der Universalität ist die Existenz Gottes. Ich kenne keine Kultur, in der es keine religiösen Vorstellungen oder in der es keinen Glauben an eine transzendente Welt gäbe.

Das Anthropos Institut feiert in diesem Jahr sein 90-jähriges Jubiläum. Was wären die größten Errungenschaften des Institutes im Laufe der Jahre?
Ich arbeite jetzt bald 40 Jahre im Anthropos Institut. Es ist sehr schwierig, in den Wissenschaften Maßstäbe anzulegen. Wenn ich aber zurückblicke, dann kann ich schon sagen, dass durch die Arbeit des Instituts das Bewusstsein, nicht nur innerhalb der Ordensgemeinschaft der Steyler Missionare, sondern auch in den christlichen Kirchen gewachsen ist, dass man gegenüber dem Fremden und den fremden Kulturen achtsamer sein muss. Wir dürfen nicht einfach mit unseren Vorstellungen aus Europa kommen und meinen, dass sie universal gültig sind, sondern wir müssen den anderen Menschen erstmal in seiner Art des Lebens, in seiner Lebensweise respektieren. Wir haben in den letzten Jahrzehnten erkannt, dass die einzelnen Kulturen, auch wenn sie noch so klein sind, doch von großer Bedeutung und wichtig sind.

Zita Fasbender

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