P. Wilhelm Schmidt und seine geheime Mission

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12. Sep 2022

Anlässlich des 147. Gründungstags der SVD präsentierte Peter Rohrbacher von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften neue Forschungsergebnisse zur Rolle des Steyler Missionars und Ethnologen im NS-Widerstand.

Vortrag von Peter Rohrbacher über P. Wilhelmn Schmidt

Ein kleines blaues Notizbuch im Archiv des Generalats der Steyler Missionare im Rom enthält die Fakten zu einem bisher kaum beachteten Aspekt im Leben von P. Wilhelm Schmidt SVD (1868-1954), des Begründers der Schule der Wiener Ethnologie und des Anthropos-Institutes: Während seines Exils in der Schweiz (1938-1954) stand der Steyler Missionar in engem Kontakt mit militärischen Geheimdiensten und unterstützte mit Hilfe von Geld aus dem Vatikan im Geheimen die Aktivitäten von österreichischen Wehrmachtsdeserteuren im Widerstand gegen das NS-Regime. In einem Vortrag anlässlich des 147. Gründungstages der „Gesellschaft des Göttlichen Wortes“ (SVD) am 8. September präsentierte Peter Rohrbacher vom Institut für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) bei einem Vortrag in St. Gabriel neue Forschungsergebnisse zu Schmidts Interaktionen mit Kirche und Politik in der NS-Zeit.

Pater Wilhelm Schmidt SVD (1868-1954) an seinem Schreibtisch in St. Gabriel. 43 Jahre wirkte der große Ethnologe im Missionshaus der Steyler Missionare in  Maria Enzersdorf.
Pater Wilhelm Schmidt SVD (1868-1954) an seinem Schreibtisch in St. Gabriel. 43 Jahre wirkte der große Ethnologe im Missionshaus der Steyler Missionare in Maria Enzersdorf.

Geld aus dem Vatikan für den Widerstand

„Das Notizbuch, das ich im SVD-Archiv fand, gehörte P. Wilhelm Schmidt. Darin listete er im Detail die Empfänger und den Zweck der Ausgaben aus, mit denen der Widerstand finanziert wurde“, berichtete Rohrbacher. Finanziert wurden u.a. die illegalen Reisen der Widerstandskämpfer ins besetzte Österreich und Sabotageakte in Westösterreich.
Das Geld dafür – 12.840 Schweizer Franken – habe der Ordensmann 1943 auf seine Bitte hin vom Vatikanischen Staatssekretariat für „karitative Zwecke“ erhalten – im Geheimen, ohne Wissen der Schweizer Behörden. Pater Schmidt war nach der Machtergreifung der Nazis 1938 drei Tage unter Hausarrest gestellt und anschließend wieder freigelassen worden. In Begleitung von Kardinal Innitzer gelang ihm die Flucht nach Rom und später in die Schweiz. An der Universität Fribourg hatte er den Lehrstuhl für Ethnologie und Sprachwissenschaften inne.

P. Schmidts blaues Notizbuch im Archiv des SVD-Generalats in Rom
P. Schmidts blaues Notizbuch im Archiv des SVD-Generalats in Rom
Auflistung der Ausgaben zwischen November 1943 und Februar 1944: Die größte Unterstützung erhielten Walter Ferber und Wilhelm Bruckner
Auflistung der Ausgaben zwischen November 1943 und Februar 1944: Die größte Unterstützung erhielten Walter Ferber und Wilhelm Bruckner

Kontakt zu Geheimdiensten und Wehrmachtsdeserteuren

Persönliche Beziehungen und daraus resultierend großes Vertrauen seien die Grundlage für Schmidts Engagement gewesen, so Rohrbacher. Der Steyler Missionar stand etwa in Verbindung mit dem Wehrmachtsdeserteur Walter Ferber und dem Wiener Medizinstudenten Wilhelm Bruckner, der in der Schweiz eine österreichische Widerstandsgruppe zusammen mit Wehrmachtsdeserteuren aufbaute. „Im SVD-Archiv in Rom sind 50 Briefe erhalten, die Schmidt und Bruckner einander schrieben“, so Peter Rohrbacher. Belegt ist auch, dass P. Wilhelm Schmidt Kontakt mit dem Schweizer militärischem Geheimdienst (MIS) und der Britischen nachrichtendienstlichen Spezialeinheit SOE hatte und auch die Widerstandsorganisation „Patria“ mit vatikanischen Geldern unterstützte.

Pater Wilhelm Schmidt SVD mit Papst Pius XI bei der Eröffnung des Missions-Ethnologischen Museums im Lateran in Rom am 20. Dezember 1929
Pater Wilhelm Schmidt SVD mit Papst Pius XI bei der Eröffnung des Missions-Ethnologischen Museums im Lateran in Rom am 20. Dezember 1929

Für die Unabhängigkeit Österreichs

Schmidts Rolle als Geldgeber und spiritueller Mentor einer Widerstandsgruppe war ein wichtiger Beitrag dafür, dass Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg seine Unabhängigkeit wiedererlangen konnte. Denn in Übereinstimmung mit der Moskauer Erklärung verlangten die Alliierten für die Garantie der Unabhängigkeit, dass es in Österreich Widerstandsgruppen und -aktivitäten gab, die für die Freiheit des Landes kämpften. „Die Frage, ob Papst Pius XII und seine Kurienkardinäle über die tatsächliche Verwendung der Vatikan-Gelder Bescheid wussten, bleibt allerdings offen“, betonte Rohrbacher in seinem Vortrag.

Großes Interesse für den Vortrag von Peter Rohrbacher in St. Gabriel
Großes Interesse für den Vortrag von Peter Rohrbacher in St. Gabriel

Klerikaler Antisemitismus

Die Erkenntnisse zu Schmidts Widerstandsaktivitäten blieben bislang unbeachtet – anders als seine heute als rassistisch und längst überholt geltende Kulturkreislehre und seine Aussagen, in denen er einen klerikalen Antisemitismus vertrat: „Schmidt ist von allen Seiten politisch instrumentalisiert worden und das Stigma des Antisemitismus ist an ihm hängen geblieben“, so Rohrbacher. In einer neuen und überarbeiteten Auflage von Schmidts Werks „Rasse und Volk“ wurde der Antisemitismus jedoch völlig ausgeblendet. Die SS warf ihm vor, damit die Rassenlehre zu diskreditieren. Als einziges ethnologisches Werk wurde das Buch schließlich verboten. Auch ein Vortrag Wilhelm Schmidts mit dem Titel „Die Widerlegung der Irrlehre von Blut und Boden“ im Februar 1936 erregte Aufsehen.
Bei seinen Recherchen im SVD-Archiv in Rom und in den Vatikanischen Geheimarchiven glaubt Rohrbacher Hinweise auf den Einfluss der SVD (namentlich durch P. Schmidt und den damaligen Generalsuperior P. Josef Grendel) auf die Entstehung der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ gefunden zu haben.

Fotos: SVD Archiv St. Gabriel AG SVD Rom, Franz Helm SVD

P. Wilhelm Schmidt
wurde 1868 in Dortmund-Hörde geboren. 1883 trat er in Steyl in die Gesellschaft des Göttlichen Wortes (SVD) ein und wurde 1892 zum Priester geweiht. Von 1893 bis 1985 studierte er Theologie, Philosophie und orientalische Sprachen in Berlin. Ab 1896 war er als Lehrer und Forscher im Missionshaus St. Gabriel tätig, 1902 nahm er die österreichische Staatsbürgerschaft an. 1906 gründete er die – auch heute noch erscheinende – wissenschaftliche Zeitschrift „Anthropos“. Schmidt gründete die Wiener Schule der Ethnologie, der u.a. auch P. Wilhelm Koppers SVD und P. Paul Schebesta SVD angehörten.
1926 erhielt er den Auftrag, das Päpstliche Missions-Ethnologische Museum im Lateran aufzubauen, dem er später auch als Direktor vorstand. 1931 gründete er in St. Gabriel das Anthropos-Institut.
Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich 1938 musste er seine Lehrtätigkeit an der Universität Wien beenden. Nach seiner vorübergehenden Verhaftung gelang Schmidt die Flucht in den Vatikan, später emigrierte er in die Schweiz, wo er von 1939 bis 1954 als Professor an der Universität Fribourg tätig war. Nach Fribourg übersiedelte er auch das Anthropos-Institut, das sich heute in St. Augustin bei Bonn befindet. P. Wilhelm Schmidt starb am 10. Februar 1954 in Fribourg, sein Grab befindet sich auf dem Friedhof des Missionshauses St. Gabriel in Maria Enzersdorf.

Dr. Peter Rohrbacher
ist Senior Researcher am Institut für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. In seiner Forschungsarbeit beschäftigt er sich intensiv mit der Völkerkunde zur NS-Zeit. Zusammen mit Andre Gingrich ist der Kultur- und Sozialanthropologe Autor des dreibändigen Werks „Völkerkunde zur NS-Zeit aus Wien 1938 – 1945. Institutionen, Biografien und Praktiken in Netzwerken“ (Wien 2021)

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