„Habt ihr denn keine Augen, um zu sehen, und keine Ohren, um zu hören?“

01. Sep 2023

Jesus fragt (9): Mk 8,18

Jesus lässt die Menschen die Güte Gottes erfahren und offenbart die Wahrheit – dennoch lehnen ihn viele ab. Warum verhalten sie sich so?

„Habt ihr denn keine Augen, um zu sehen, und keine Ohren, um zu hören?“

Wer sein Leben nach Gottes Willen ausrichten will, muss lernen, gut und böse voneinander zu unterscheiden. Das ist aber gar nicht so einfach. Die Wirklichkeit ist sehr komplex. Das Böse erscheint zudem auf den ersten Blick oft attraktiver und überzeugender als das Gute. Nach jüdisch-christlicher Überzeugung sind die in der Bibel gesammelten Schriften eine von Gott gegebene Hilfe bei der Unterscheidung. Auch Jesus hat alles, was er erlebte, im Licht der Heiligen Schriften gedeutet. Schon von Beginn seines Wirkens an musste er erfahren, dass das, was er sagte und tat, auf Ablehnung stieß, besonders bei denen, die damals in Religion und Politik das Sagen hatten. Er erkannte darin die Krankheit des „verstockten Herzens“, von der in vielen jüdischen Schriften die Rede ist. Bei uns wird das Herz meist als Sitz der Gefühle angesehen. In der hebräischen Kultur betrachtete man das Herz dagegen als Sitz von Verstand, Erkenntnis und Wille. Wenn dieses Organ verhärtet oder verstockt, dann sind die Menschen nicht mehr offen und empfänglich für Gottes Botschaft und Wirken. Dann streben sie nach dem Bösen, statt sich dem Guten zuzuwenden. Was ist die Ursache dieser Krankheit? Manche biblischen Texte erwecken den Eindruck, Gott selbst habe sie hervorgerufen und die davon betroffenen Menschen zur ewigen Verdammnis verurteilt.

In Psalm 81 wird dagegen ein anderes Verständnis deutlich. „Ich bin der HERR, dein Gott, der dich heraufgeführt hat aus Ägypten. Weit öffne deinen Mund! Ich will ihn füllen. Doch mein Volk hat nicht auf meine Stimme gehört; Israel hat mich nicht gewollt. Da überließ ich sie ihrem verstockten Herzen: Sollen sie gehen nach ihren eigenen Plänen.“ (Ps 81,11-13) Gott bietet uns seine Führung an, doch er zwingt uns nichts auf. Er lässt es zu, dass wir unseren eigenen Plänen folgen. Wo Menschen nicht mehr auf Gott hören, verhärtet das Herz. Nur wenn der Leidensdruck zu groß wird, kommt es zur Umkehr, die sich Gott so sehr für uns wünscht: „Ach, dass mein Volk doch auf mich hörte, dass Israel gehen wollte auf meinen Wegen! Wie bald würde ich seine Feinde beugen … Ich würde es nähren mit bestem Weizen, dich sättigen mit Honig aus dem Felsen.“ (Ps 81,14-17)

Die Herzensverhärtung verursacht schwere Wahrnehmungsstörungen. Das hat auch Jesus erfahren müssen. Obwohl Menschen sahen, was er tat, erkannten sie darin nicht Gottes Güte. Obwohl sie seine Worte hörten, nahmen sie sich nicht zu Herzen. Er deutete dieses Verhalten mit Worten, die er bei den Propheten Jesaja und Jeremia gelesen hatte: „Augen haben sie und sehen nicht, Ohren haben sie und hören nicht!“ (Jer 5,21) Im Gespräch mit seinen Jüngern zitierte er mehrfach entsprechende Bibelstellen.

Anfangs glaubte Jesus, seine Jünger seien vor dieser Krankheit geschützt, denn er war ja bei ihnen (vgl. Mk 4,11). Doch dann nahm er auch bei ihnen Krankheitssymptome wahr. Obwohl sie aus nächster Nähe seine Wundertaten erlebten, in denen sich die Schöpferkraft Gottes zeigte, waren sie voller Angst und Sorgen. Jesus stellte ihnen daraufhin Fragen, in denen seine Enttäuschung deutlich wird: „Begreift und versteht ihr immer noch nicht? Ist denn euer Herz verstockt? Habt ihr denn keine Augen, um zu sehen, und keine Ohren, um zu hören?“ (Mk 8,17-18). Als Ursache der Krankheit identifizierte Jesus den „Sauerteig“ derjenigen, die in Religion und Politik das Sagen hatten. Ihr Reden und Handeln hatte die Jünger angesteckt und krank gemacht. Trotz seiner Enttäuschung wandte sich Jesus nicht von seinen Jüngern ab. So wie er einem Blinden mehrmals die Hände auflegte, bis er endlich richtig sehen konnte (vgl. Mk 8,22-26), so wandte er sich auch seinen Jüngern nun noch intensiver zu, damit sie fähig wurden, Gottes Willen zu erkennen und danach zu handeln. Sie mussten seinen Weg nach ganz unten mitgehen, durch Leiden und Tod, um geheilt zu werden.

Die Evangelien erzählen uns in aller Offenheit von den Problemen der Jünger, damit wir im Spiegel ihrer Erfahrungen bei uns selbst die Krankheitssymptome erkennen können. Auch wir müssen damit rechnen, dass wir nur unzureichend die frohe Botschaft erkennen, weil wir unter Herzensverhärtung leiden. Nur wer die Krankheit erkennt, wird sich Jesus zuwenden, um von ihm geheilt zu werden. Die Art der Therapie hat sich nicht geändert.

Ralf Huning SVD

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